Vererben und Vermachen sind nicht das Gleiche

Im Volksmund werden die Begriffe “vererben” oder “erben” und “etwas vermachen” und “vermacht bekommen” sehr häufig synonym verwendet. Wer ein Testament selbst schreibt und darin seinen Kindern gleichzeitig etwas “vermacht” und etwas “vererbt” behandelt seine Kinder möglicherweise ungewollt unterschiedlich. Warum?

Der Grund liegt darin, dass die Begriffe “vererben” und “vermachen” im Erbrecht sozusagen vorbelegt sind und einen eindeutigen juristischen Kontext zum Inhalt haben. Dieser Kontext wird im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) für das Erbrecht in den Paragraphen 1922 bis 2384 geschaffen.

Vererben - Der Erbe

“Erbe” gemäß Paragraph 1922 BGB wird man aufgrund eines Testaments, Erbvertrags oder gemäss gesetzlicher Erbfolge. Als Erbe tritt man vollständig in die Rechtsposition des Verstorbenen ein. Das passiert ganz automatisch mit dem Tod des Erblassers. Weil es diesen Automatismus gibt, kann man, wenn man nicht Erbe werden will, das Erbe ausschlagen. Werden mehrere Personen Erben, so entsteht Kraft Gesetzes eine Erbengemeinschaft, die einzelnen Erben werden als Miterben bezeichnet. Dem oder den Erben gehört der gesamte Nachlass gemäss ihren Erbquoten. Der Erbe wird Inhaber alle Rechte und Pflichten, ohne dass dazu ein zusätzlicher juristischer Akt notwendig wäre. Wenn es mehr als einen Erben gibt, gehört einem Erben nicht ein einzelner Vermögensgegenstand komplett und ein anderer Vermögensgegenstand gar nicht, sondern jeder Vermögensgegenstand - also die Büroklammer bis zur Immobilie oder Aktie - gehört allen Erben gemeinschaftlich gemäss den Anteilen ihrer Erbquote. Die Erben können darüber aber nur verfügen (z.B. den Gegenstand verkaufen), wenn sich alle einig sind. Das kann mitunter sehr streitanfällig und mühsam sein. Ziel eines Testaments kann deshalb auch sein eine Erbengemeinschaft zu vermeiden, ohne die einzelnen Erben wirtschaftlich zu benachteiligen. Das geht z.B. über die Anordnung von Vermächtnissen.

Vermachen - Der Vermächtnisnehmer oder Vermächtnisbegünstigte

Wer etwas “vermacht” bekommt ist bei wörtlicher juristischer Auslegung Vermächtnisnehmer. Vermächtnisnehmer gemäss Paragraph 1939 BGB wird man aufgrund letztwilliger Verfügung, also z.B. per Testament oder Erbvertrag. Der Vermächtnisnehmer wird jedoch unmittelbar nach dem Tod nicht Eigentümer des vermachten Gegenstands. Eigentümer ist erst einmal immer nur der Erbe und sonst niemand. Der Vermächtnisbegünstigte hat aber einen sog. schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben, der das Vermächtnis aber erst aktiv erfüllen muss. Wird beispielsweise eine Immobilie “vermacht”, so muss der Erbe erst zum Notar gehen und diese Immobilie auf den Vermächtnisnehmer übertragen. Der Vermächtnisnehmer ist also auf die Mitwirkung des Erben angewiesen. Eine ererbte Immobilie geht automatisch auf den Erben über, das Grundbuch wird deshalb in der Regel ohne notarielle Beteiligung lediglich berichtigt. Die Rechtsposition des Vermächtnisnehmers ist also etwas schwächer als die des Erben.

Ein wesentlicher Vorteil eines Vermächtnisses ist, dass der Erblasser damit Vermögensgegenstände aus seinem Nachlass sozusagen vereinzeln und somit einer einzelnen Person zuweisen kann, ohne dass eine andere Person einen Mitanspruch wie in einer Erbengemeinschaft hätte. Er “vermacht” diesen Vermögensgegenstand indem er dem Erben ein Vermächtnis (d.h. die Pflicht) auferlegt, diesen Vermögensgegenstand herauszugeben. Vermächtnisse sind sehr vielfältig und können sogar den Grossteil des Nachlasses ausmachen. Wirtschaftlich betrachtet ist eine vermächtnisweise Begünstigung von Personen deshalb per se dem Erbe keinesfalls unterlegen. Neben einer Teilungsanordnung im Testament ist das Vermächtnis ein sehr flexibles Gestaltungsinstrument für den Erblasser, um pro-aktiv Streit unter seinen Erben zu vermeiden.

Kommen in einem Testament beide Begriffe “vererben” und “vermachen” unüberlegt vor, so kann es passieren, dass Personen, die Erben hätten werden sollen, nur einen konkret genannten Vermögensgegenstand als Vermächtnis erhalten und andere Personen das eigentliche Erbe oder umgekehrt. Die Auslegungspraxis wird zwar den Willen des Erblassers erforschen und umsetzen, aber statt einem Richter die Auslegung zu überlassen, ist es besser im Vorfeld fachkundigen Rat einzuholen und Missverständnisse möglichst zu vermeiden.

Autor: Stefan Herborg - ERBEn NEU ERLEBEN
Mensch statt Anwalt für Erbcoaching, Testamentsvollstreckung und Mediation