Neu heiraten und die Hälfte des Erbes verlieren?

Wiederverheiratungsklausel eines selbst geschriebenen Testaments: 

“Meine Frau erbt alles. Falls sie wieder heiratet, erbt sie nur die Hälfte.“ Unterstellt man dem Erblasser, dass er mit dieser Anordnung zusätzlich für eine weitere Person sorgen will, weil er glaubt die Partnerin würde bei einer Wiederverheiratung aus ihrer neuen Ehe versorgt, ist die Klausel nachvollziehbar, aber erbrechtlich eine Katastrophe. Warum? 

Die Anordnung stellt rechtlich eine auflösende Bedingung für die Erbenstellung der Ehefrau bezogen auf die Hälfte des Nachlasses dar. Die Ehefrau verwirkt einen Erbteil, wenn sie neu heiratet. Der Erblasser ordnet damit - ggf. ohne es zu merken - für einen Teil des Nachlasses eine Vor- und Nacherbschaft an! 

Problem 1: Nicht bekannte Nacherben

Nacherben sind entweder die im Testament genannten Erben oder diejenigen Personen, die die gesetzlichen Erben des Erblassers geworden wären, wenn dieser zum Zeitpunkt des Nacherbfalls (also im Zeitpunkt der Wiederheirat) gestorben wäre. Im Gegensatz zu einer von vornherein klar angeordneten und durchdachten Nacherbschaft steht hier deshalb erst mit dem Nacherbfall (Wiederheirat) fest, wer Nacherbe ist. 

Problem 2: Vorerbe kann ggf. nur mit gerichtlicher Genehmigung handeln

Aufgrund der unbeabsichtigt angeordneten Nacherbschaft ist die Ehefrau folglich für den halben Nachlass nur Vorerbin und benötigt im Zweifel für Verfügungen über die Vorerbschaft bzw. einzelne Vermögensgegenstände die Zustimmung des Nacherben. Ist der Nacherbe noch nicht bekannt (die Wiederverheiratung liegt ja unsicher in der Zukunft und Nacherben sind nicht konkret benannt), so ist die gerichtliche Bestellung eines Pflegers für unbekannte Nacherben erforderlich, der die Interessen dieser Nacherben wahrnimmt und den konkreten Sachverhalt prüft. Befindet sich ein Unternehmen im Nachlass, so ist damit ein großer Schritt in Richtung dauerhafter Handlungs-Unfähigkeit getan. Eine eher gruselige Vorstellung.

Problem 3: Lebensfremde Teilung jedes Vermögensgegenstands in juristische Teilansprüche

Für die Witwe besteht das außerdem das permanente Problem, dass sie eigentlich bei jedem Nachlassgegenstand in einen Voll-Erbenanteil und Vor-/Nacherbenanteil unterscheiden muss - in der Lebenswirklichkeit wohl kaum möglich, im Streitfall höchst problematisch. 

Fazit:

Auch wenn testamentarische Klauseln zugunsten der Umsetzung des Erblasserwillens und Wirksamkeit eines Testaments ausgelegt bzw. umgedeutet werden können, so ist dennoch bei komplexeren Strukturen - und grundsätzlich bei Straf-, Bedingungs- und Verwirkungsklauseln - juristischer Rat dringend empfohlen um genau diese Unsicherheit im Rechtsverkehr und Streit unter den Erben zu vermeiden.

***

Autor: Stefan Herborg - ERBEn NEU ERLEBEN
Mensch statt Anwalt für Erbcoaching, Testamentsvollstreckung und Mediation